Wenn ich laufe, geht es für mich um die Bewegung in der Natur”

Patrick Stangbye
Essentialist und Trailrunner
True Original

Verfasst am

28/09/2021

Words by

Patrick Stangbye

Die Begegnung mit einem Ultratrailrunner weckt gewisse Erwartungen, auch wenn Menschen, die ein solches Maß an Fähigkeit und Ausdauer an den Tag legen, eine eigene Untergruppe von Übermenschen zu sein scheinen.
Man erwartet möglicherweise, über das Training, die Ausdauer, die Ausrüstung, die großen Rennen und vielleicht die Umwelt zu sprechen. Ein Gespräch mit dem norwegischen Läufer Patrick Stangbye widerspricht diesen Erwartungen jedoch.

Zu sagen, er macht sich über vieles Gedanken, wäre eine Untertreibung. Er ist ein Mann, der das Leben aus einer philosophischen Haltung heraus angeht, der sich für Ästhetik, Kunst, Klimawandel und die Funktionsweise der Welt ebenso begeistert wie für Sport. Im Laufe unseres Gesprächs unterhielten wir uns über das Baden im Wald, über das Laufen mit Wölfen als reale Perspektive und nicht als Filmidee und darüber, wie er beim Intervalltraining mit einem Hirsch zusammenstieß.

In Japan gibt es den Begriff ‘*shinrin-yoku, – man tut nichts im Wald, man sitzt nur unter Bäumen. Wir wissen, dass Pflanzen in der Natur sogar auf physiologischer Ebene etwas haben, das uns beruhigt und entspannt, sogar in Bezug auf den Duft. Wenn ich laufe, geht es für mich um die Bewegung in der freien Natur. Ich glaube, es ist sehr beruhigend, gut für die Seele und gut für das Gehirn.”

Patrick bezeichnet sich selbst als Essentialist. Er betrachtet das Laufen als kreatives Werkzeug für die anderen Bereiche seines Lebens. Es geht darum, wie man als Läufer auf seine Umgebung reagiert und wie und warum man Entscheidungen in Bezug auf seine Kleidung oder die eigenen Routinen trifft.

Manchmal wird er von anderen als Minimalist bezeichnet, weil er eine eingeschränkte Farbpalette bevorzugt und ein Auge für eine täuschend schlichte Ästhetik hat. Patrick teilt diese Auffassung jedoch nicht. Zwar gefällt ihm vieles am Minimalismus in der Architektur, aber den Gedanken, auf Komfort zu verzichten, mag er nicht. Außerdem ist er, wie er sagt, ein „Produkttyp“ – jemand, der Design und Funktionalität schätzt. Als Essentialist achtet er jedoch immer auf den Kernwert der Dinge, die er kauft.

Ich liebe gute Produkte. Ich lege Wert auf Qualität und auf die Geschichte hinter dem Produkt. Aber vielleicht ist es eher das Wesen des Produkts, das zählt”

Laufen ist für Patrick die Aktivität, bei der er sich nicht nur konzentrieren, sondern seine Gedanken besser fließen lassen kann. Bewegung in freier Natur ist weit mehr als eine Trainingssession oder ein Workout. Für ihn ist es ein innerer Dialog mit der Landschaft selbst. Das ist auch einer der Gründe, warum er glaubt, dass sich die Menschen in der Trailrunning-Community der Umweltprobleme bewusster sind als der Durchschnitt und sich dafür einsetzen, die Dinge zum Besseren zu wenden. Er sagt, dass es in den Bergen ein starkes Gemeinschaftsgefühl gibt, man aufeinander aufpasst und auf unterschiedliche Weise spürt, dass man ein Gefühl der Zugehörigkeit zu etwas Größerem als Einzelpersonen, Rennen oder Teams, eine gemeinsame Sprache hat, auch wenn sich diese nicht in Worten äußert.

Sei respektvoll gegenüber deiner Umwelt, aber versuche auch, eine Art Symbiose oder Beziehung aufzubauen, in der du gleichzeitig nimmst und gibst”

So sehr er sich persönlich dafür einsetzt, seinen CO2-Fußabdruck zu verringern und bewusst zu handeln, so sehr ist er der Meinung, dass seitens der Regierung bzw. der großen Unternehmen und der fossilen Brennstoffindustrie mehr getan werden muss. Anstatt den Druck auf kleinere Marken oder Einzelpersonen zu erhöhen, würde er lieber einen systemischen Wandel sehen. Seiner Meinung nach ist es an der Basis genauso wichtig, für etwas einzutreten wie zu handeln, obwohl natürlich beides wichtig ist.

Die richtige Einstellung zum Erfolg ist oft das A und O effektiver Interessenvertretung. Genau diesen Ansatz verfolgt Patrick auch bei seinem Training. Er konzentriert sich lieber auf Technik und Effizienz als auf die Anzahl der Stunden oder Kilometer, die er in einer Woche absolvieren kann.

Selbst der beste Trainingsplan hätte ihn nicht auf den Abend vorbereiten können, an dem er auf einer Strecke, die er schon Hunderte Male gelaufen war, mit einem Hirsch zusammenstieß. Es war ein surrealer Moment, als sich Mensch und Hirsch nach dem Zusammenstoß einen Moment lang nur schockiert anstarrten. Für ihn war es auch ein Moment, in dem ihm bewusst wurde, dass die Wälder und Hügel, die von den Trailrunnern so geliebt werden, auch die Heimat aller Arten von Wildtieren sind und dass wir alle die gleichen Räume teilen.

Mehr Menschen dazu zu ermutigen, in die Natur zu gehen, ist Patrick wichtig, im Zusammenhang mit seiner Befürchtung, dass sich die Welt in eine seltsame Richtung bewegt, wenn wir uns nicht alle entschleunigen und eine bessere Beziehung zur Umwelt entwickeln. Der Marathonläufer Eliud Kipchoge, der im Laufen die Zukunft der Menschheit sieht, inspiriert ihn. Kipchoge mag als der Philosoph der Marathonwelt gelten. Aber Patrick Stangbye könnte diesen Titel in der Ultratrailrunning-Welt durchaus für sich beanspruchen.

Eines wissen wir mit Sicherheit: Er ist in seinem Wesen ein echtes Original.

Ich habe nicht wirklich Angst vor irgendetwas. Natürlich gibt es immer ein Risiko und das muss man abschätzen, aber ich habe keine echten Ängste”

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